Lass Dich also überraschen. AUSSTELLUNG

Wir möchten Sie herzlich zur Ausstellungsfeier am 2. Oktober 2015 um 19 Uhr in das Künstlerhaus 188 einladen.

Sollte Ihnen der Termin nicht möglich sein, haben Sie vom 26. September bis 17. Oktober 2015 die Möglichkeit, sich überraschen zu lassen.

26.  September — 17. Oktober 2015

Mo bis Fr 9—15 Uhr Sa, So 11—18 Uhr

Künstlerinnen
Friederike von Hellermann
Ulrike Jänichen
Stefhany Yepes Lozano

 

Ausstellungsfeier – Midissage:
Freitag 2.  September 2015 — 19 Uhr
zur Begrüssung sprechen:
Dr. Jürgen Weißbach (Vorsitzender Künstlerhaus 188 e. V.
Anne Holderied
Juliane Aleithe (Kunsthistorikerin)

 

Künstlerhaus 188 e. V.
Böllberger Weg 188, 06110 Halle (Saale)
Telefon: 0345-23 11 70
Mail: kuenstlerhaus188@aol.com
Führungen auf Anfrage möglich

 

Rede zur Midissage

»Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, dass Sie der ausgesprochenen, sehr individuell anmutenden Formel Lass dich also überraschen gefolgt sind und sich heute Abend zu einer Ausstellung der Künstlerinnen Ulrike Jänichen, Stefhany Yepes Lozano und Friederike von Hellermann hier im standhaften Künstlerhaus 188 eingefunden haben.
Der Titel der Ausstellung lautet: Lass dich überraschen; mit dem kenntlichgemachten Einschub, der Korrektur, mit dem adverbialen Nachtrag: also. Für mich steckt – neben der sehr persönlichen Anrede – hinter der Kurzform die etwas veraltete Aufforderung: Lass dich [so, auf die ein oder andere Weise] überraschen! Du, der Du uns betrachtest!

Mit dem Betreten des Ausstellungraumes fällt der Blick wohlmöglich in der direkten Verlängerung auf die in Reihe gehängten schwarzweißen Fotografien von Friederike von Hellermann. Die zehn analog gefertigten Abzüge verdanken sich zum einen der väterlichen Contax D Kamera der Firma Carl Zeiss aus dem Jahr 1954, einer Studienexkursion und ohne Frage der Neugier und dem Geschick der Künstlerin. Auf allein unternommenen Streifzügen durch die Altstadt von Damaskus stieß Friederike von Hellermann immer wieder auf öffentliche Wasserstellen, welche als die Augen des Wassers bezeichnet werden. Aus der Faszination für diese so unterschiedlich gestalteten, aus verschiedenen Zeiten stammenden und durch zahlreiche Ereignisse in ihrer Anmutung veränderten und angepassten Brunnenanlagen erwuchs ein sehr poetisches Zeugnis. Die meist gemauerten, mit Schmiedeeisernen Gittern und häufig mit arabischen Texten versehenen Plätze sind für gewöhnlich mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Stadtbewohnern bevölkert. An diesen Wasserstellen kommt man zusammen, tauscht sich aus und geht mit befüllten Kanistern davon. Für die Touristen ein faszinierender Ort, von dessen Nutzung ihnen dringend abgeraten wird. Den Auslöser hat die Künstlerin immer dann betätigt, wenn die Wasserstellen verwaist waren bzw. in dem einen Fall, sich die Menschenleere nicht hat einstellen wollen. Die in Stadtgeschichte und Gemäuer eingepassten, für den Alltag der Damaszener so wichtigen Wasserquellen erhalten durch das künstlerische Festhalten eine dokumentarische und zugleich romantische Aufladung. Ob diese Brunnen noch in Benutzung sind, ihnen Veränderungen wiederfahren oder sie gar zerstört sind, muss aufgrund der Situation in Syrien offen bleiben. Die damalige Studienreise liegt sieben Jahre zurück. Sie wurde 2008 angetreten, um eine der ältesten Städte der Welt kennen zu lernen. Die künstlerische Dokumentation existiert in einer Auflage von zwölf handgefertigten Mappen mit je zehn DIN-A4 großen Abzügen.

Wir alle sind umgeben von Dingen. Wir nutzen sie in mannigfacher Weise, bemessen ihre Bedeutung nach persönlichen und fachmännischen Kriterien, bewahren sie oder entledigen uns ihrer umgehend oder nach Jahren des Gebrauchs.
Der Sammler geht nicht selten einer persönlichen Neigung und Neugier nach. Seiner Einschätzung verdankt sich der bewahrte Fundus mit all seinen tradierten Zusammenhängen und Auslassungen. Der Betrachter des Buches 100 Dinge von Friederike von Hellermann steht zweidimensionalen blauen Abbildungen von Dingen mit zum Teil umfänglichen Auslassungen gegenüber. Zur Erläuterung oder Bestimmung des Gegenstandes kann er seinen eigenen visuellen Schatz an Dingen verwenden oder mittels des kleinen Begleitheftes Vermutungen anstellen. Die Beschreibungen variieren. Mal nennen die Sätze den Herkunftsort und das Alter der Dinge [England, ca. 1880], mal die persönliche Bestimmung [Er war Jahre lang hinter Büchern versteckt und wurde nur hervor geholt, wenn ein bestimmter Kollege zu Besuch kam] und manchmal werden ästhetische Wertungen vorgenommen [Von außen appetitlich, von innen nicht so sehr]. Den Ansatz für diese Art der Kategorisierung und Beschriftung bot der Buchgestalterin die Sammlung Pitt Rivers Museum, welche ein Teil des Universitätsmuseums in Oxford darstellt. Genau wie diese Präsentation anthropologischer Dinge, mit der Möglichkeit die Exponate zu befühlen und anhand der kurzen und zum Teil bizarren Beschreibungen zu kontextualisieren, sehen Museen ihre Aufgabe darin, von der Welt und ihren Geschichten zu erzählen. Von großer Aufmerksamkeit begleitet wurde das von Neil MacGregor angestoßene und über den musealen Tellerrand der üblichen Präsentation angelegte Radioprojekt der BBC »Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten«. Dabei wurde anhand von 100 stellvertretenden Artefakten aus der Sammlung des British Museums die Geschichte der Welt von Fachleuten aus unterschiedlichen Disziplinen erläutert. Friederike von Hellermann nahm dieses Format zum Anlass, über die zu ihr gehörenden Dinge und ihre persönlichen Geschichten nachzudenken. Aus einem Besitz von sicherlich mehr als 100 Dingen, wurden 100 von Kontexten getrennt und mittels Pochoir /Schablonen-Technik zum Teil in ihren Flächen, Dekoren und Silhouetten reduziert wiedergegeben, so dass der Umgang und die Neugier auf die Dinge neben all den Expertisen ein hohes Maß an Vorstellungskraft braucht, um den Bestimmungen der Artefakte näher zu kommen.

Den Bedingungen und Rhythmen in der Natur und den natürlichen Schutzbedürfnissen bei Menschen geht Ulrike Jänichen nach. Unter der Überschrift: Geborgen Sicher lassen sich detailreich gezeichnete Serien und kunstvoll bestickte Werke der Jahre 2014 und 2015 betrachten. Mit großer Wissbegierigkeit blicken wir auf die Artenvielfalt, ihre höchst funktionalen Hervorbringungen und angepassten – das Weiterbestehen der Art sichernden – Maßnahmen und Zyklen. Für die gezeichnete Serie: Winterlinge begab sich die Künstlerin in der kältesten Jahreszeit in den Garten, um die im Herbst gesteckten Pflanzenknollen zu bergen. Im Anschluss an den künstlerischen Akt kamen blaue Triteleie, Winterling, Anemone, Ranunkel und Lauch wieder zurück ins Erdreich. Im Mittelpunkt stehen Pflanzenteile, um deren unabdingbare Existenz wir wissen, welche aber in unserer Wahrnehmung und der Assoziation mit dem Artennamen und der Pflanze nur eine untergeordnete Rolle spielen. Dabei steckt doch das Entscheidende in der Wurzelknolle.
Die unscheinbaren Gebilde erhalten in der betonten Isolation die nötige Aufmerksamkeit und geben dem Betrachter die Gelegenheit, über die Komplexität, die furchtlose Bereitschaft des Vergehens und den Rückzug in die Regenerierungsphase nachzudenken, ohne die bekanntlich kein Neubeginn im Frühling möglich ist.
Das Bedürfnis von der Natur zu lernen, ihre Phänomene festzuhalten, sie zu beobachten, um sie zu verstehen und wohlmöglich nachzuahmen, ist uns und der Geschichte nicht unbekannt. In einer weiteren Bleistiftserie widmet sich Ulrike Jänichen den verschiedenen Konstruktionen von Vogelnestern. Sie erfasst die architektonischen Besonderheiten und gibt die feinen Strukturen und Materialunterschiede der Bauten in Originalgröße wieder. Die Nester der Einzelakteure und die der Siedlungsbauten schweben auch hier frei von ihrer Umwelt und ohne ihre Erbauer, sprich sie sind „Vogelfrei“. Es bleibt kein Zweifel daran, dass diese an die eigenen und herrschenden Umweltbedingungen angepassten Nester die Sicherung der Aufzucht der nächsten Generation gewährleisten. Ein Garant dafür ist der Instinkt.
Der Instinkt, die eigenen Nachkommen vor Gefahren und jedweder Form des realen oder erdachten Argwohns schützen zu wollen, liegt den Homo sapiens ebenfalls zugrunde. Neben dem Wissen um Gefahren, die von natürlichen Begebenheiten ausgehen, gab es auch zu allen Zeiten den Verdacht, dass Böses auch durch übernatürliche Kräfte den Menschen treffen kann. Die Ausformung von Aberglauben und Schutzriten ist umfänglich, und einige entdeckte oder überdauerte Zeugnisse können zum Teil Auskunft geben. Neben kreisrunden und sich stets wiederholenden Formen treten häufig göttliche Figuren in Verschränkung mit heilsbringenden Symbolen auf. Die verwendeten Farben und ihre bewusste Positionierung an den Kleidungsstücken spielen dabei eine erhebliche Rolle. Ein Großteil der ikonografischen Formensprache hat sich in traditionellen Stickereien unterschiedlicher Kulturen erhalten.
Um die körperlichen Defizite gegenüber Umweltbedingungen auszugleichen, erdachte der Mensch diverse Schutzkleidungen. In der Gegenwart meint dies – neben atmungsaktiver Wind- und Wetterkleidung mit tierischen Markennamen – Arbeitsschutzanzüge u. a. für Tätige in Laboratorien und Forschungseinrichtungen. Eines der führenden Produkte ist Tyvek. Das Material wird sehr verschieden eingesetzt und besitzt schützende Eigenschaften. Es gilt als reißfest, leicht, flexibel, umweltfreundlich und resistent gegenüber Feuchtigkeit. Die ausgestellten Werke vereinen diese beiden Glaubenswelten, die der Wissenschaft und die des Mythos, um dem Wunsch, seine Lieben ganz und gar zu schützen, nach zu geben. Während die Hauben an bedeutenden Stellen mit frei zusammengefügten Symbolen versehen sind, greift die Künstlerin mit den Tier- und Rankenmotiven auf dem Ganzkörperanzug auf Tätowierungen einer gefundenen ca. 2500 Jahre alten konservierten Leiche eines Skythen zurück. Die ausgewählten Stellen, wie Arme, Schulter und Hände, galten als besonders schützenswert, um Feinde und Tiere zu jagen.

Gedanken über Hoffnung und Glaube, an einen großen Zusammenhang, etwas dass uns leitet und weiterführt, immer mit dem Bewusstsein dafür, dass es Dinge gibt von denen wir nichts wissen, ahnen oder verstehen, ist sicherlich niemandem fremd. Glaubensfragen und der Darstellung von religiösen Riten, Transzendenz und einem konkreten Ereignis im Jahr 1997 in Kalifornien widmet sich Stefhany Yepes Lozano mit ihrer Masterarbeit The Rider of the Away Team. In der Gegenüberstellung mit der Detail- und Elementreichen Arbeit bekommt der Betrachter – verkürzt gesagt – die letzten Handlungen der Sekte Heaven´s Gate zu sehen. Die in den 1980iger Jahren gegründete Gruppe war zu der Überzeugung gelangt, dass sie – die Außerwählten – eine nächsthöhere Existenz erreichen können, wenn sie ihre irdische Lebensform mittels Suizid aufgeben. Hinter dem Kometen Hale-Boppe verbarg sich ihrer Meinung nach ein Raumschiff, welches sie in ihrer neuen Lebensform aufnehmen wird. Über die Ideen und Gründe geben Videoaufzeichnungen der Heaven´s Gate Anhänger und Aussagen eines zum Chronisten und zum überleben bestimmten Mitgliedes. Darüber hinaus stehen Medienberichte in großem Umfang nach wie vor zur Verfügung. Für die Rezeption der außergewöhnlichen Geschichte nimmt Stefhany Yepes Lozano eine eigene Interpretation des Stoffes vor. So bleibt der Handlungsort unbestimmt bis bühnenhaft in seiner Wirkung und unter den schwarz gekleideten Figuren lässt sich ein fremdartiges Wesen ausmachen. Zur künstlerischen Ausgestaltung und für die Erzählstrukturen nutzt sie u. a. Anleihen aus der traditionellen Votivmalerei. Auf unterschiedlich großen Holztafeln werden Gläubige, die Person oder der Gegenstand ihrer Verehrung, Details der wundersamen Geschichten [vermeintlichen Wunder] und Textblöcke abgebildet. Nicht selten werden kleine dreidimensionale Stellvertreter und andere Kultobjekte, wie wächserne Anhänger hinzugefügt. Die Lesart ist unbestimmt. Eine gewisse Form der Gleichzeitigkeit und der Wiederholung ist zu bemerken. Die Tradition der Votivmalerei geht bis ins 16. Jahrhundert zurück und ist geknüpft an katholische Regionen. Sie wird von gerettet oder geheilten Gläubigen in Auftrag gegeben bzw. gestiftet, weil sie es dem als heilig erachteten Retter gelobt haben. Der Hinweis auf das Gelöbnis – Ex-voto – findet sich auf den Bildtafeln innerhalb der Textpassagen wieder. Die Bilder und Gebildvotive wurden von den Stiftern, talentierten Nachbarn oder Laienkünstlern gefertigt. Im Laufe der Zeit entstand ein professionalisiertes Berufsfeld und in Teilen Amerikas besteht diese kultische Tradition nachwievor.
Die Macht des Glaubens und das Maß der Erfüllung, dass die Gläubigen in ihrer Zugehörigkeit finden, sind für Außenstehende bisweilen nicht nachvollziehbar. Die eigene Ungläubigkeit, trotz ihrer Erfahrung und Kenntnis mit dem katholischen Glauben und dessen Zeremonien und Traditionen, beschreibt die Künstlerin Stefhany Yepes Lozano als eine wichtige Voraussetzung, um mit der Sekte Heaven´s Gate und ihrem Ende unvoreingenommen und künstlerisch frei umzugehen. Mag sich das Kunstwerk The Rider oft the Away Team auch einem ungewöhnlichen Thema widmen, die Künstlerin fordert die Betrachter lediglich auf, für das Außergewöhnliche, für WUNDER offen zu sein.

Am Schluss bleibt mir zu wünschen, dass dieser noch viele Präsentationen folgen werden, welche auf die eine oder andere Weise die Betrachter überraschen! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Danke allen Beteiligten ganz herzlich für ihr Engagement! Und Wünsche Ihnen noch einen guten Abend im Rahmen der Midissage und interessante Gespräche mit den Anwesenden, zu denen u. a. die Künstlerinnen Ulrike Jänichen, Stefhany Yepes Lozano und Friederike von Hellermann zählen!«

Juliane Aleithe, Kunsthistorikerin, M.A.