eine enge Beziehung

„Gestaltendes Handwerk“ könnten wie ein Synonym für Design klingen – wenn es nicht der Eigenname einer Disziplin wäre, die im Volksmund oft noch mit „Kunsthandwerk“ betitelt wird. Über das Verhältnis zweier Schwestern.

Was ist der Unterschied zwischen Design und Gestaltendem Handwerk? Die Fertigungsweise? Die Stückzahl? Der Qualitätsanspruch? Als die design-report-Redaktion den Themenschwerpunkt zu diskutieren begann, wurde schnell klar: Es gibt kein Kriterium, zu dem nicht für beide Seiten sofort Gegenbeispiele gefunden werden können. Viel augenscheinlicher als die Unterschiede sind nämlich die Parallelen in der Arbeit von Designern und Kunsthandwerkern: Beide entwerfen, beide besitzen gestalterische Handschrift, und in der Regel stellen beide Seiten höchsten Anspruch an die Fertigungsqualität. Wenn man also Kunsthandwerker und Designer desselben Arbeitsbereichs einander gegenüberstellt, treten dann Unterschiede zutage?

 

Um das herauszufinden, befragte Klaus Meyer Designer und Kunsthandwerker zu ihrer Arbeit, ihrer Inspiration und, nicht zuletzt, zu ihrer Selbstverortung (s. S. 24). Doch er erhielt nicht nur Antworten – sondern genau auch die Fragen, die zuvor auch in der Redaktion heiß diskutiert worden waren. So schrieb uns Barbara Schmidt, Chefdesignerin bei Kahla, kurz nach dem ersten Telefonat: „Wenn Designer ihre Entwürfe eigenhändig in kleiner Auflage herstellen, ist das dann noch Design? Wenn Kunsthandwerker identische Reproduktionen ihrer Arbeit von Werkstattangestellten in mittelgroßen Mengen anfertigen lassen, ist das dann tatsächlich Kunsthandwerk? Da spielt ja das Moment der Arbeitsteiligkeit hinein, das konstituierend ist für Industriedesign. Wenn Designer die Schönheit des Fehlers entdecken und seriell Unregelmäßigkeit entstehen lassen, was ist das dann? Wenn Möbel nach Entwürfen von Designern mehr oder weniger manufakturell angefertigt werden, ist das nicht eigentlich Industriedesign, aber Kunsthandwerk ist es auch nicht, oder? Und wenn Kunsthandwerker digitale Techniken für experimentelle Kleinstserien einsetzen …?

 

Der Versuch, eine klare Trennlinie zwischen Design und Gestaltendem Handwerk zu ziehen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt müßig, denn längst gibt es eine Grauzone, in der die Disziplinzugehörigkeit eine Frage der Selbstdefinition ist. Auch jenseits dieser Grauzone kann man im Design beobachten, wie handwerkliche Mechanismen – etwa die enge Bindung zwischen Gestalter und Objekt (s. S. 32) – an Bedeutung gewinnen. Dies ist nicht das Resultat ignoranter Annexion von Methoden: Das Interesse von Designern an der gestaltenden Schwesterdisziplin wächst. Die Promptheit, mit der Barbara Schmidt ihre Fragen formuliert, ist nur ein Indiz dafür.

 

Ein weiteres Anzeichen ist beispielsweise, dass von Designhochschulen immer wieder Impulse in Richtung des Handwerks ausgehen. Jüngstes Beispiel: Der Lehrstuhl für Kunst- und Designgeschichte der Bergischen Universität Wuppertal startete unter der Leitung von Gerda Breuer ein Projekt zum Thema Handwerk und Design. Es soll einen fächerübergreifenden Einblick auf die historischen Zusammenhänge von Handwerks- und Industriegestaltung werfen und die aktuelle Bedeutung des Handwerks für gesellschaftliche und kulturelle Fragen aufzeigen. Ein nicht unwesentlicher Teil des Projektes: Das Teilen der Arbeitsergebnisse mit der Öffentlichkeit. Derzeit planen die Organisatoren ein Symposium und ein Buch, der Call for Papers läuft bis zum 30. September. Auch an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle widmet man sich dem Handwerk: Im Mai trafen sich dort zum zweiten Mal Experten zu einer Diskussionsrunde, um die Potentiale manufaktureller Fertigung zu erkunden und zu hinterfragen (s. S. 30); weitere Gespräche sollen folgen. Auch andersherum scheint das Interesse zu wachsen. Indikatoren dafür sind beispielsweise die traditionsreichen Kunsthandwerksmessen, die sich zunehmend auch für Design öffnen (s. S. 34).

 

Vor elf Jahren, im März 2001, titelte der design report noch „Handwerk kontra Design – Zwei Disziplinen zwischen Wahlverwandtschaft und Brudermord“. Die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigen eindeutig: Die Disziplinen können sich bestens ergänzen, ohne einander zu schaden. Und dass dabei eine Grauzone entstanden ist, ruft keinesfalls nach einer klaren Abgrenzung – sondern lädt im Gegenteil dazu ein, Symbiosemöglichkeiten auszuloten.

 

 

aus Designreport 04/2012

von: Johanna Wittmaack